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Naturspaziergang
17. Juni 2006

Ein Spaziergang an der Oberalster

Eigentlich drücke ich mich nach Möglichkeit davor, nach Hamburg zu fahren. Ich habe viel zu viele Jahre dort gelebt und kann der Stadt kaum noch etwas abgewinnen. Zuviel Verkehr, zu viele Menschen, zu viel Hektik - ich fühle mich dort einfach nicht wohl, nicht frei, irgendwie eingesperrt. Ich glaube, mittlerweile bin ich ein richtiges Landei geworden. Bin ich trotzdem in der Stadt, versuche ich möglichst viele Dinge auf einmal zu erledigen, damit ich nicht so bald wieder hin muß. Im Juni besuchte ich unter anderem einen Freund, den ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen hatte. Erst im Februar ist er Vater geworden und hat somit nicht mehr all zu viel Zeit. Wir hockten eine ganze Weile in der Wohnung oder auf dem Balkon und redeten über dies und das, bis uns seine Freundin einen Einkaufszettel in die Hand drückte - wir sollten noch etwas für das Abendessen besorgen, außerdem brauchte das Baby Schlaf. Wir steuerten also den nächsten Supermarkt an und kauften Gemüse und Fleisch für einen Nudelsalat, dazu zwei Six-Pacs, Pistazien, Brause, Würstchen, Zigaretten für meinen Kumpel - was der Mensch eben so braucht. Nachdem wir die Einkäufe im Kofferraum verstaut hatten, fuhren wir noch an die Oberalster, um ein wenig spazieren zu gehen. Mein Kumpel hatte eine digitale Spiegelreflexkamera, eine Canon EOS 350 D, ausgeliehen, mit der wir ein paar Bilder zur Probe schießen wollten. Es war zwar warm, der Himmel aber von einer dünnen grauen Wolkendecke verhangen.
Die Alster ist ein rechter Nebenfluß der Elbe und entspringt in der Nähe von Hennstedt-Ulzburg. Auf den ersten Kilometern fließt sie in östliche Richtung und knickt dann nach Süden ab. Nach 53 km mündet sie schließlich in die Elbe. Reden Hamburger von der Alster, so meinen sie meist den aufgestauten See mitten in der Stadt. Erstmals wurde die Alster um etwa das Jahr 1190 aufgestaut, um eine Mühle zu betreiben. Um 1235 wurde die Alster mit einem weiteren Damm aufgestaut, so das sich der 182 ha großen Alstersee bildete. Der See (er wird aber nie so genannt) wird von Lombards- und Kennedybrücke in die 164 Hektar große Außenalster und die wesentlich kleinere nur 18 Hektar große Binnenalster geteilt. Die Teilung inn Außen- und Binnenalster existiert es seit Errichtung der Hamburger Wallanlagen im Jahre 1616, einer Befestigungsanlage, die die gesamte Stadt umschloß. Dieser See ist von Parks umgeben, grenzt dabei an die allerbesten Wohnlagen und prägt maßgeblich das Gesicht der Stadt. Der Oberlauf der Alster kann ab der Rader Schleuse mit Kanus und Kajaks befahren werden. Motorboote sind i. d. R. nicht zugelassen. In Kayhude beginnt der 15 km lange Alsterwanderweg, auf dem man dem Flusslauf bis nach Hamburg- Poppenbüttel folgen kann.
Unseren etwa zweistündigen Spaziergang, auf dem die hier zu sehenden Fotos entstanden sind, haben wir in Hamburg-Sasel unternommen. Hier umschließt die stark mäandernde Alster eine etwa 18 Hektar große als Naturschutzgebiet ausgewiesene Halbinsel. Das Betreten des Gebietes ist untersagt, jedoch kann man an natur- und vogelkundlichen Führungen des NABU Hamburg teilnehmen.
Auf dem strategisch günstig gelegenen Gelände finden sich die Überreste einer frühgeschichtlichen sächsischen Volksburg aus vorfränkischer Periode, Mellingburg oder auch Mellenburg genannt. Sie gehörte zu einem System von mehreren Burganlagen, die das sächsische Holstein vor Übergriffen feindlicher Slawen und Wikinger schützen sollte. Erbaut wurde dieses Burgensystem ab etwa 700 n. Chr. und verlor etwa ab 1000 n. Chr. an Bedeutung. (mehr unter Bodendenkmale ).
Der Wanderweg führt am äußeren Ufer des Flußes rund um die Halbinsel herum und führt dabei überwiegend durch einen dichten Buchen-Eichen-Mischwald, der mit vielen Hainbuchen durchsetzt ist. In den sumpfigen Niederungen finden sich dichtere Bestände von Roterlen, vereinzelt sieht man auch Eschen. Auf den Wiesen und an den Waldrändern wachsen auch mächtige Silberweiden. An Sträuchern finden sich vor allem Haselnüsse, Holunder, Faulbaum, gewöhnlicher Schneeball, Schlehen und Weißdorn. Der Holunder stand gerade in voller Blüte und lockte mit seinem schwerem süßlichen Duft allerlei Insekten an.
Obwohl Hamburg mit 1,7 Millionen Einwohnern eine richtige Großstadt ist, ist es doch erstaunlich, wie viele Grünflächen es in der Stadt gibt. Die Stadt hat ihre derzeiten Grenzen erst mit dem "Groß-Hamburg-Gesetz" 1936 erhalten. Die damals preußischen Städte Altona, Wandsbek und Harburg wurden in das Hamburger Stadtgebiet eingegliedert, hinzu kamen außerdem eine ganze Reihe von Dörfern und Siedlungen, die sogenanntem "Walddörfer", um einer zukünftigen Stadtentwicklung Raum zu geben. Die vielen Exklaven, die Hamburg sich im Laufe der Jahrhunderte angeeignet hatte, wie z. B. Geesthacht, Großhansdorf und Cuxhaven, mußte die alte Hansestadt allerdings abtreten. Durch das "Groß-Hamburg-Gesetz" war Schleswig-Holstein zwar gezwungen, Land an die Stadt Hamburg abzutreten, der Zugewinn an Flächen überwog aber.
Durch die gewaltigen Zerstörungen, die die alliierten Bombardemts während des 2. Weltkrieges hervorgerufen hatten, sowie den Zuzug von zehntausenden von Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches kam es nach dem Krieg zu einer wahren Bauwut. Wohnraum war extrem knapp und man tat Seitens der Stadt sein Bestes, um die herrschende Wohnungsnot zu mildern. In den innerstädischen Bezirken, die von den Verheerungen des Krieges besonders stark betroffen waren, stampfte man Wohnblöcke aus rotem Ziegel aus dem Boden. Daneben entstanden auf der grünen Wiese tausende von einfachen Siedlungshäusern mit Gärten, die eine Selbstversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln zu ermöglichen sollte. Weitsichtige Stadtplaner legten Parks und Alleen an, außerdem ließ sich mit Grünflächen so manche Kriegsnarbe im Antlitz der Stadt kaschieren. Zudem wurde bereits frühzeitig nach dem Krieg beschlossen, das der rote Backstein, der bis dahin das Antlitz der Stadt geprägt hatte, weiterhin der favorisierte Baustoff für den Hausbau sein sollte. Hamburg sollte wie eh und je eine Ziegelstadt bleiben.
In den noch eher ländlich geprägten nördlichen Teilen der Stadt entstanden bald auch erste Stadtvillen; meist eher schlichte unauffällige Bauten mit hanseatischem Understatement. Durch diese Bautätigkeiten wuchsen die alten Dörfer zusammen, und es ist nichts ungewöhnliches, eine alte reetgedeckte Bauernkate neben modernen Geschäftshäusern und Wohnblocks oder einer Villa anzutreffen. Natürlich wohnt in dem Häuschen dann kein Kätner mehr und es werden auch keine Schweine mehr gehalten, sondern in den Räumlichkeiten findet sich eine Boutique, ein Café oder ein Restaurant. Entlang der Alster, einem der Filetstücke der Stadt, findet man reihenweise große Villen, so auch rund um die Alsterschleife. Einziges Manko dürfte sein, dass die Gegend mit in der Einflugschneise des Flughafens Fuhlsbüttel liegt. Allerdings hält sich der Fluglärm noch in Grenzen, die Flugzeuge fliegen hier noch verhältnismäßig hoch.
So schöne Ecken Hamburg auch hat, es gibt natürlich auch Schattenseiten. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre stampfte man, um die Wohnungsnot der jüngeren Generation zu lindern, Hochhaussiedlungen aus dem Boden. So entstand z. B. gar nicht so weit von der Alster entfernt die Trabantenstadt Steilshoop. Eine ebensolche Bausünde ist die City Nord, eine Ansammlung von riesigen Bürokomplexen nördlich des Stadtparks. In die gleiche Zeit dieser Bauwut gehören die großen Einkaufszentren, die überall entstanden. Es stellt sich die Frage, ob die Architekten dieser Monströsitäten heute ein schlechtes Gewissen haben...

Auf unserem Weg rund um die Alsterschleife entdeckten wir auch eine Bisamratte ( Ondatra zibethicus ), die geschäftig zu ihrem Bau schwamm. Ursprünglich ist diese Nagetierart in Nordamerika beheimatet, doch ausgehend von Böhmen und Frankreich haben sich diese Tiere über ganz Europa und tief nach Asien hinein verbreitet. Der Bisam ist nicht mit den Ratten verwandt, sondern mit den Wühlmäusen, deren größter Vertreter er ist. Bisamratten werden ungefähr 35 cm lang und wiegen zwischen 800 und 1600 Gramm. Die Gestalt ist gedrungen, der Schwanz fast nackt und seitlich abgeplattet. Sie sind auf ideale Art an das Leben im Wasser angepasst und hervorragende Taucher. Die Ohren können wasserdicht verschlossen werden, anstatt von Schwimmhäuten sind die Hinterpfoten mit steifen Schwimmborsten ausgestattet. Das Fell ist sehr dicht und wasserabweisend. Bei den ersten Tieren in freier Wildbahn in Europa handelte es sich um Exemplare, die aus Pelzfarmen entkommen waren. Das Fell wird von Kürschnern sehr geschätzt, es variiert farblich von hellbraun über dunkelbraun bis hin zu schwarz. Bisamratten bauen, wo immer die Uferböschung dies zuläßt, Erdhöhlen und untergraben dabei auch Uferbefestigungen, Deiche und Dämme, wodurch sie zum Teil schwere Schäden verursachen. Aus diesem Grunde werden sich auch als Schädlinge verfolgt. Dort, wo das Ufer keine Erdhöhlen zuläßt, bauen sie aus Schilf und Röhricht sogenannte Bisamburgen. Zum größten Teil ernähren sich die Bisamratten pflanzlich, wobei sie hauptsächlich Schilf, Rohrkolben, Binsen und Seerosen zu sich nehmen. Sie graben aber auch nach Wurzeln und nehmen auch Obst und Getreide an. In den vegetationsarmen Monaten ergänzen sie ihre Nahrung mit Muscheln, Schnecken, Insektenlarven, selten auch Fröschen und Fischen. Auf einer Paddeltour auf dem Fluß Sorge konnte ich bei Niedrigwasser überall im Uferbereich Haufen von leeren Muschelschalen entdecken. In der Natur werden Bisamratten selten älter als 3 Jahre, weil dann die Mahlzähne zu sehr abgenutzt sind - die Tiere beginnen zu verhungern. Natürliche Fressfeinde sind vor allem Füchse, Fischotter sowie größere Eulenarten. Als Hauptfeind wird jedoch der ebenfalls aus Nordamerika eingeschleppte Mink genannt. Bisamratten vermehren sich in Mitteleuropa in der Zeit von März bis September, allerdings hat man auch schon im Winter trächtige Weibchen gefunden. Normalerweise wirft das Weibchen nach einer Tragzeit von 30 Tagen vier bis neun Junge. Die Jungen werden nackt und blind geboren. Alt genug, um den elterlichen Bau zu verlassen sind sie in der Regel mit 4 Monaten. Sie wiegen dann etwa 600 Gramm. Bisamratten gelten als bedeutender Zwischenwirt für den Fuchsbandwurm. Erbeutet ein Fuchs ein infiziertes Tier, so wird er in der Regel auch mit der Krankheit infiziert.
So sehr die Bisamratte als Schädling und zugereister Neuling in der eurasischen Tierwelt verhaßt ist, so sehr ist klar, daß eine Ausrottung dieses Neubürgers in unserer einheimischen Fauna nicht mehr möglich ist. Dafür hat sie sich schon viel zu stark vermehrt und zu viele Lebensbereiche erobert. Manche Biologen nehmen die Bisamratte auch in Schutz, sie nehme heutzutage lediglich den Platz ein, den einst der Biber vor seiner weitgehenden Ausrottung durch den Menschen inne hatte.

Hat man die Alsterschleife einmal umrundet, so muß man aufpassen, daß man nicht weiter im Kreis läuft. Man läuft und läuft - und plötzlich steht man wieder an der kleinen Brücke über die Alster. Alles in allem war es ein sehr netter Spaziergang. Aber man merkt doch, daß man in einer Stadt ist - die vielen Jogger, die Leute, die ihren Hund Gassi führen, der Lärm der Autos und der Flugzeuge, der gelegentlich zu hören ist, die Häuser oben über dem Wanderweg.

Ich war froh, daß ich am Abend die Stadt wieder verlassen durfte. Aber es ist trotzdem schön zu wissen, daß Hamburg noch solche grünen Oasen vorweisen kann.

Jens

 

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